Zwischen Karfreitag und Pfingsten – mit Werken von Ursula Dethleffs

103064 Fridel Dethleffs-Edelmann, Unsere Tochter Ursula,
Farbstiftzeichnung, 1945 mit 12 Jahren

Werden die Feiertage von Corona

abgeschafft oder aufgewertet?

Was für eine Frage? Klar - die Corona-Epedimie ist seit April 2020 eine Prüfung für alle. Aber deshalb können wir doch nicht vergessen, dass es vielen Völkern 1945 noch unendlich viel schlechter ging als heute: Wer war damals nicht verzweifelt? Bei all den Toten, Mißhandelten, bei der oft totalen Zerstörung? Unglaublich wirkt, dass die Völker einen Weg aus dieser Verzweiflung gefunden haben. Gerade in der Zeit zwischen Karfreitag und Pfingsten dürfen wir uns daran erinnern. Die Werke von Ursula Dethleffs aus dieser verzweifelten Zeit können uns dabei begleiten.

Deutschland war damals fast völlig zerstört. Am 8. Mai 1945 kapitulierte Deutschland. Es war besetzt von Soldaten der vier Siegermächte. In Deutschland irrten umher: Kinder, Frauen, Soldaten, Kriegsversehrte, Befreite, Gefangene aus Konzentrationslagern, deutsche Flüchtlinge – und noch mehr Verzweifelte. Sie alle suchten nach Essen, nach einem Dach über dem Kopf, nach Verwandten, nach Ärzten, Krankenhäusen, nach Hilfe, um nicht zu verhungern. Das „Dritte Reich“ hatte seinen totalen Krieg verloren, dabei war Arist Dethleffs, wohl weil er gar nicht an den Endsieg geglaubt hatte, noch fünf Jahre vorher als Soldat eingezogen worden (1940)

 

 

 

1940: Abschied von Arist in Uniform neben Ursula und Fridel Dethleffs-Edelmann

Nach dem Abschied waren Fridel, ihre Mutter Luise Edelmann und Ursula allein. Fridels Mutter übernahm den kleinen Stall mit Kuh und Hennen. Fridel war für Familie und Haus verantwortlich, während die Fabrik für Peitschen und Skistöcke weiter von Albert Derhleffs mit seinem Bruder geleitet wurde. Die Wohnwagenfertigung war wegen des Kriegs stillgelegt worden. Im Haushalt war Frau Eisleb der gute Geist.

Da der Krieg bisher das, im Allgäu verborgene Isny gar nicht wahrgenommen hatte, ging es den Isnyern immer noch gut, wenn man die Sorgen der Frauen um die Soldaten vergisst.

Fridel, Gogge und Frau Eisleb waren vor allem damit beschäftigt, von Ursula alles abzuhalten, was sie hätte beeinträchtigen können. Neben ihrer Arbeit konnte Fridel auf das Malen nicht verzichten. Manchmal durfte Ursula mit ins Atelier. Sie durfte dann meistens ein Bild aus einem Kunstbuch der Mutter abzeichnen. Heute hätte sie mit der Abstraktion angefangen. In den Kunstbüchern wurden damals aber Menschen, Tiere und Bäumen noch so gezeichnet, wie sie sind.Nur bei Ursulas jüngestem Gericht ging es drunter und drüber - wie bei Hieronymua Bosch.

Ursula Dethleffs
Das Jüngste Gericht
Tuschfederzeichnung in Sepia , 1945
WVZ-Nr: 272005

Hier Arist mit Ursula - sie freuen sich, dass die Familie wieder zusammen ist. Arist und seine Familie hatten Glück. Er wurde 1945 als Soldat nach Hause entlassen: Gesund und ohne Kriegsverletzung. Am Ende des 2. Weltkriegs. am 8. Mai 1945, war Ursula Dethleffs 12 Jahre alt. Der Tag des Friedens war damals ein Tag zwischen Karfreitag und Pfingsten. Ursula hat selbst keine Bombennacht miterleben müssen.

Sie war von der Mutter streng erzogen worden. Ursulas Großmutter – liebevoll „Gogge“ in der badischen Übersetzung für Oma genannt – sah zwar streng aus, aber Ursula konnte sie um ihren Finger wickeln. Genauso wie ihren „Vattle“.

Die Edelmanns stammten aus Ottersweier. Luise Edelmanns Vater war Bauer, der Tabak angebaut hatte. Geheiratet hat Luise den Gastwirt Jacob Edelmann, der das Gasthaus „Zur Krone“ in Hagsfeld bei Karlsruhe umtrieb. Für beide Eheleute war harte Arbeit selbstverständlich. Zu der Arbeit als Gastwirt kam noch die Erlaubnis, zusätzlich Schnaps zu brennen. Nach dem Tod ihres Mannes war Luise Edelmann wieder nach Ottersweier gezogen.

152202 Fridel Dethleffs-Edelmann: Großmutter mit ihrer Enkelin Ursula, Öl Leinwand, 1942,
Augustinermuseum Freiburg

Ihre Hochzeit hatten Arist Dethleffs und Fridel Edelmann 1931 in Karlsruhe gefeiert. Danach zogen sie zur Schwiegermutter Luise Edelmann nach Ottersweier. Sie wohnte dort allein im Haus ihrer Eltern. Sie war glücklich, dass die junge Familie zu ihr zog; eine Wohnung war dort für die Beiden frei. 1933 kam dort Ursula zur Welt. Nach fünf Jahren zog Arist mit seinen drei Frauen nach Isny: dort war das neue Haus Dethleffs am Ortsrand von Isny fertig geworden. Zur großen Freude von Ursula zog auch ihre Gogge mit ein.

Ursula ist als Künstlerin von zwei Frauen außergewöhnlich gefördert worden. Wobei erstaunlicherweise ihr Großmutter in den ersten 24 Jahren die wichtigste Frau war. Erst nach dem Tod der Großmutter 1957 wurde ihre Mutter für 25 Jahre dann Ursulas liebste und wichtigste Bezugspersönlichkeit.

Das lag zunächst an Fridel: Als Mutter war sie glücklich über ihre Tochter. Nicht weniger glücklich war sie, dass ihre Mutter sich um die Enkelin rührend sorgte. Denn so konnte sie sich - ohne jedes Schuldgefühl - ihrer Kunst widmen. Daneben saß die Tochter oft im Atelier und lernte dort ganz nebenbei viele Techniken, die in der Kunst wichtig sind.

Es lag aber noch mehr an der Gogge: Die Großmutter hatte als Bauerntochter schon in ihrer Jugend hart gearbeitet. Die Aufgabe als Gastwirtsfrau hat sie später viele Jahre noch mehr gefordert. Freizeit für die eigene Persönlichkeit hatte sie nicht. Dieses harte Leben wollte sie ihrer Tochter ersparen. Deshalb waren der Gastwirt und seine Frau einig, als sie es Fridel erlaubten, ihrem Wunsch zu folgen, Künstlerin zu werden. Kunst war für die Beiden nichts Fremdes. Kunst gehörte für sie zum Leben.

Der Fabrikantensohn Arist hätte sich keine bessere Schwiegermutter wünschen können.

Das Gemälde von Fridel zeigt ihre Mutter als strenge Frau mit hoher Stirn und scharf geschnittenem Mund. Sie hätte Pietistin sein können: für die nichts wichtiger ist als die Liebe Gottes; wenn der Erfolg hart erarbeitet wird, dann ist alles Gott wohlgefälig. Pietisten kennen sich bestens in der Bibel aus.

Ihre, nicht aus dem Gemälde abzuleitende, liebevolle Seite erlebt Ursula, die sich auf dem Gemälde von Fridel Dethleffs-Edelmann eng an ihre Gogge kuschelt jeden Tag. Dabei erfüllt die Großmutter gleichzeitig den Wunsch ihrer malenden Tochter: sie möge als Modell bitte still halten und gerade sitzen. Da Ursula selten still sitzen kann, sieht die Großmutter über sie hinweg. Mit einer Hand hält sie das Buch. Für die malende Mutter hält Ursula den Mund geschlossen, obwohl sie viel lieber laut vorlesen würde. So sitzen die beiden gesittet auf dem Sessel und jeder ahnt, dass die Beiden ein Herz und eine Seele sind.

Die Gogge wusste alles, was in der Bibel steht. Gebannt hörte Ursula zu, wie Maria Jesus an Weihnachten im Stall geboren hat und dass er in einer Krippe lag, weil sie arm waren. Sie kannte den Stern von Bethlehem und die Heiligen Drei Könige. Die Kreuzigung von Jeses konnte sie nicht verstehen. Aber seine Auferstehung in den Himmel zu seinem Vater tröstete sie.

Ohne ihre Gogge wäre Ursula nicht so intensiv mit dem Christentum verbunden gewesen: Ihre Großmutter war die Quelle ihres Glaubens.

Dafür nahm ihre Mutter, als Malerin, sich immer wieder Zeit, Ursula an Hand von ihrer großen Kunstbibliothek in die Werke von Dürer, Rembrandt, Picasso einzuführen. Ursula hat zwar nie eine Universität besucht. Dafür wurde sie von ihrer Mutter in die Geschichte der klassischen Kunst eingeführt: durch Bücher, durch den Besuch von Ausstellungen und Museen auf ihren vielen Reisen. Zudem ist sie auch bei vielen bedeutenden Künstlern aus dem Freundeskreis ihrer Mutter „in die Schule gegangen“ – um nur drei zu nennen: Max Ackermann, HAP Grishaber, Sepp Mahler. Die wichtigste Lehrerin blieb für Ursula aber immer ihre Mutter.

Die biblische Zeit von Ostern bis Pfingsten hat Ursula immer wieder aufs Neue bewegt. In den Jahren von 1946 bis 1989 sind die Werke entstanden, die wir Ihnen hier vorstellen werden.

Am Anfang verwendete Ursula Dethleffs dazu den Bleistift, später die farbige Sprache der Hinterglaskunst. Während ihrer Ausbildung bei der Mutter und bis zum Ende ihres eigenen Lebens hat Ursula immer wieder neue Kunsttechniken gelernt. (Sie werden hier einen Teil davon kennenlernen.) Am Schluß ihres Lebens hat sich Ursula dann die verschlüsselten Werke der Objektkunst erschlossen. Wenige Künstler+innen waren so umfassend und gleichzeitig so stark in ihrer Wirkung.

1946: Christus Einzug in Jerusalem / Christus vor Pilatus

Hinterglasbilder hat Ursula schon als als Achtjährige ,also seit 1941, gemalt. Da war Ursula noch in der Ausbildung – trotzdem wurden die Bilder damals schon in Ausstellungen bewundert. Die beiden hier abgebildeten Hinterglasbilder sind 1946 von der Dreizehnjährigen gemalt worden. Beide nach den biblischen Erzählungen ihrer Großmutter. Da Hinterglasbilder seitenverkehrt auf der Rückseite der Glasplatte gemalt werden, sind diese Arbeiten für Ursula ein wichtiger Schritt gewesen. Die grafische Aufteilung der Glasfläche und das Gespür für die Harmonie der Farben hat Ursula schon im „Kinderwagen“ von ihrer Mutter gelernt.

Wie früh Ursula mit ihren vielen und ganz unterschiedlichen Techniken gearbeitet hat, lässt sich aus einem Kapitel in dieser Homepage erkennen:

Die vielen Seiten des Kapitels sind geordnet nach Technik und Jahr:

Link zu: Ausstellungen nach Periode.

Christi Einzug in Jerusalem
Ursula Dethleffs
Christi Einzug in Jerusalem
Hinterglasmalerei, 1946
WVZ-Nr: 233004
Christus vor Pilatus
Ursula Dethleffs
Christus vor Pilatus
Hinterglasmalerei, 1946
WVZ-Nr: 233005

1948: Christus unter dem Kreuz / Auferstehung / Am Wegkreuz

Christus unter dem Kreuz
Ursula Dethleffs
Christus unter dem Kreuz
Tempera Tusche auf Pressplatte, 1948
WVZ-Nr: 201080

Bei den beiden ersten Arbeiten mit Tempera-Farben hat Ursula die Farben wie bei den Aquarellen selbst gemischt: die Farbvariation in den warmen Tönen war unbegrenzt. Bei Tempera wird mit Wasser-Öl und bei der Gouache mit einer Wasseremulsion ohne Öl gemischt.

Vor einer Kuppel ist Christus unter der Last des Kreuzes auf den Boden gesunken. Rechts wird er von einer Frau betrauert, links von dem Krieger bewacht, der ihm später den in Essig getauchten Schwamm an die Lippen halten wird.

Das nächste Bild zeigt die Auferstehung: Christus schwebt aus dem Kreis der Frauen hinauf in weißem Mantel über dem roten Unterkleid in den Himmel. Das Rot wird bei den Frauen neben ihm wiederholt. Eine der drei Frauen vorn ist ganz in Dunkelblau gekleidet, während die Röcke der beiden anderen mit ihren senkrechten Streifen, die Himmelfahrt unterstreichen.

Auferstehung
Ursula Dethleffs
Auferstehung
Tempera mit Gouache, 1948
WVZ-Nr: 201077

Ihre Bildteppiche hat Ursula in den frühen Jahren meist - wie hier- auf Sackleinen genäht.

Das war der Not gehorchend. Denn am liebsten hätte sie mit neuen Stoffen gearbeitet.

Das war für eine schwäbische Fabrikantentochter noch lange nach Kriegsende zu teuer. Die Stoffapplikation hat sie aus Stoffresten oder alten Textilien zusammengesucht, die sie sich bei Verwandten und Bekannten erbeten hatte.

Rechts ganz oben sitzt auf dem Kreuz der Hahn von Petrus: er hatte Jesus drei Mal verleugnet. Neben dem Kreuz ragen zwei Lanzen in den Himmel: mit der einen wurde Jesus von einem Legionär ein in billigen Wein getauchter Schwann gegen das Verdursten gereicht; mit der anderen Lanze wurde Jesus durch den fünften Zwischenraum zwischen den Rippen in das Pericardium und dann ins Herz gestochen. Unter dem Kreuz steht Maria von Magdala.

In der Mitte ein großer Frauenkopf, wohl Maria. Links im Bild die große schlanke Vase mit vielen bunten Blüten - als Zeichen des Lebens und der Auferstehung.

Am Wegkreuz
Ursula Dethleffs
Am Wegkreuz
Collage Applikation Textil, 1948
WVZ-Nr: 213012

1949: Christus Leben vom Kreuz zur Auferstehung / Am Kreuz

Christus Leben
Ursula Dethleffs
Christus Leben
Keramik-Schale, Beige Schicht für Bild bis zur roten Keramik entfernt, 1949
WVZ-Nr: 261021

Das Arbeiten mit Ton konnte Ursula Dethleffs bei dem Freund der Familie, Töpfer-Meister Bader, in Isny ab 1944 lernen. Er hatte Ursula im Atelier der Mutter kennen gelernt. Ursulas anhaltende Begeisterung für seine Töpferei hat dazu geführt, dass sich bald eine Vater-Tochter-Beziehung entwickelt hat. Ihre erste Schale hat sie 1944 bemalt, den letzten Teller 1970.

Die Keramik-Schale „Christus Leben“ mit den sieben Stationen ist aus rotem Ton geformt. Auf die Schale hat Ursula mit weißer „Farbe“ gemalt: Rechts oben - Das Kreuz mit der Gruppe der Jünger; in der Mitte: Jesus am Kreuz mit Engeln und den vier Frauen- seine Mutter, deren Schwester, Maria die Frau des Klopas und Maria vom Magdala.usw.

Ursula war 16 Jahre alt, als sie die Schale bemalt hat. Auch heute gibt es Mädchen, deren Energie und Glauben stark genug für die Aufgabe sind. Dazu muss dann noch eine Oma kommen, die sich in der Bibel auskennt. Wenn dann noch eine Mutter als Künstlerin hilfreich zur Seite steht, könnte die Aufgabe gelingen. Wenn…

Auf Firnis wurde verzichtet, weil die große Schale (34 x 34 cm) sonst zu sehr gespiegelt hätte.

Viele Linolschnitte entstanden von 1949 bis 1980. Sie wurden in mehreren Auflagen von Ursula selbst gedruckt, signiert und datiert. Der Linolschnitt „Am Kreuz“ stammt aus dem Jahr 1949. Den Bildaufbau hat die Künstlerin mehrfach variiert.

Der Linolschnitt hat die Tragik des Todes am Kreuz verinnerlicht. Er läßt die Todesstille buchstäblich spüren. Nichts bewegt sich, alles ist wie gestorben. Die Künstlerin war 16 Jahre alt.

Am Kreuz
Ursula Dethleffs
Am Kreuz
Linolschnitt, 1949
WVZ-Nr: 281014

Das Glaslitho „Am Kreuz“ hat Ursula ebenfalls 1949 entworfen. Bei mehrfarbigen Glaslithos müßten die verschiedenen Farben exakt gegeneinander abgegrenzt sein. Es ist anzunehmen, dass Ursula die hier verlaufenden Farben bewußt eingesetzt hat; damit wird der Gegensatz zwischen dem Linolschnitt und dem Glaslitho deutlich. Es ist nicht mehr die starre Szene mit dem Tod am Kreuz. Die Zeit steht nicht mehr still. Es ist die Zeit der Frauen am Kreuz bis zur Himmelfahrt: Die Engel über dem Kreuz sind bereit, Jesus in den Himmel zu begleiten.

Die Glaslithografie hat Ursula Dethleffs um 1944-45 gelernt. Auf Solenhofener-Steinplatten zeichnet die Künstlerin den Entwurf. Für jede Farbe muss eine eigene Platte angefertigt werden. Nach dem chemischen Prozess werden die Platten der Reihe nach mit den verschiedenen Farben gedruckt. Ursula Dethleffs hat die Glaslithografien signiert und datiert.

Am Kreuz
Ursula Dethleffs
Am Kreuz
Glaslitho Unica, 1949
WVZ-Nr: 272105

Das Glaslitho „Am Kreuz“ aus dem Reigen „Marienleben“ ist dem Leiden Jesus geweiht. Es ist nur einfarbig gedruckt. Dadurch wird die Ruhe und Stille des gestorbenen Christus betont. Das Kreuz mit Jesus steht im Mittelpunkt. Die Flügel der Engel oben und die edlen Kleider der Frauen neben dem Kreuz unten unterstreichen die würdige Stimmung.

Marienleben - Am Kreuz
Ursula Dethleffs
Marienleben - Am Kreuz
Glaslitho Unica, 1949
WVZ-Nr: 272126

Viele Zeichnungen hat Ursula schon als Kind mit Tuschfeder gemalt. Ausgestellt wurden Tuschfederzeichnungen erst ab 1945. Die Zeichnung Maria Himmelfahrt läßt die fast naive Frömmigkeit von Ursula wieder spüren: Vor allem an der rührenden Schönheit der vier Engel, die Maria in den Himmel begleiten. Dagegen vertreten die sechs Jünger die gläubige Gemeinde in einfachen Gewändern.

Marias Himmelfahrt
Ursula Dethleffs
Marias Himmelfahrt
Tuschfederzeichnung, 1950
WVZ-Nr: 272022

1954: Pinselzeichnung Tusche

Ursula 1954

Pinselzeichnungen hat Ursula Dethleffs seit 1950 unzählige gezeichnet, teilweise detailgetreu, teilweise als Skizze. Ich habe zunächst gezögert dieses Selbstbildnis hier mit aufzunehmen.

Aber es ist typisch Ursula. Traurig und gleichzeitig wehrhaft – wie ihre Mutter. Ganz sicher nicht mehr die naiv Gläubige. Ihr Gesicht dominiert. Das Gesicht des Gekreuzigten ist nur angedeutet. Links ein Mädchen, das den Heiligen Geist auf der Erde fest halten will, bei seinem Flug zu Gott. Rechts eine Frau, die weglaufen möchte, sich aber zwingt Jesus bei seiner Kreuzigung nicht allein zu lassen.

Das ist keine Szene aus der Bibel, die ihre Gogge erzählt hat. Das ist original Ursula Dethleffs. Sie stellt sich selbst unter das Kreuz. Alle Menschen sind für die Kreuzigung verantwortlich. Ihre Trauer darüber ist groß.

Selbstbildnis-Selt-Portrait
Ursula Dethleffs
Selbstbildnis-Selt-Portrait
Pinselzeichnung Tusche, 1954
WVZ-Nr: 273047

1955: Das Leben Jesus

Der übergroße Christuskopf im Mittelpunkt sprengt beinahe die Größe des Farbholzschnitts. Am Kreuz hatte Jesus gerufen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Die sechs weiteren Rufe sind verklungen. Jesus Christus ist am Kreuz gestorben. Er trägt die Dornenkrone als König der Juden. (Sein Bart ist als grafisches Gegengewicht.)

Der stoische Kopf ist umrahmt von biblischen Geschichten:

links oben - Jesus mit seinem Kreuz.

Gegenüber - Jesus mit Petrus im Ölberg.

Unten links - das Abendmahl.

Dem gegenüber - Jesus segnet Maria von Magdala.

Der Kopf inmitten des dunklen Rotbrauns ist in gedecktem Olivgrün hervorgehoben – lebend oder tot?

Christus
Ursula Dethleffs
Christus
Farbholzschnitt, 1955
WVZ-Nr: 281037

1958: Jesus am Ölberg / Kreuztragung

Zwei Keramiken, die Ursula Dethleffs Materialbilder genannt hat, weil sie mit unterschiedlichen Keramikarten gearbeitet hat. Wir fassen diese Arbeiten als Keramiken zusammen.

„Jesus am Ölberg“: Es ist Nacht, der Himmel ist fast schwarz. Wenige dunkelblaue Einsprengungen lockern das Bild über dem Ölberg auf. Im Vordergrund kauert Jesus betend, in gelbes Gewand gehüllt – das Gesicht hat er mit seinen Händen bedeckt. Rechts oben seine Jünger: Ängstlich schmiegen sie sich eng aneinander. Sie erwecken den Anschein, als ob sie ihn – trotz ihrer Angst -beschützen wollten.

Das Bild zeigt die Einsamkeit von Jesus, der die Nähe zu Gott, seinem Vater sucht. Gleichzeitig wird spürbar, wie groß die Angst der Jünger vor den römischen und jüdischen Machthabern war.

 

 

 

„Kreuztragung“: Wenig bekannt ist, dass bei der Kreuzigung das Tragen des Kreuzes zwei Personen in blauem Gewand auferlegt war: Oben, das Kreuz mit dem linken Arm tragend Simon von Cyrene, der von römischen Soldaten aufgegriffen wurde, dem verurteilten Jesus beim Tragen des Kreuzes zu helfen. Unten, Jesus selbst, der nur symbolisch das Kreuz trägt. Seine Gestalt ist zweigeteilt: ein Arm des Kreuzes trennt den kleinen Kopf mit Dornenkrone von Jesus, sein großer Körper- in blaues Tuch gehüllt - kriecht auf Händen und Knien zur Stätte Golgata hinauf - niedergedrückt von dem brutalen Urteil der drohenden Kreuzigung. Rostroter Ton liegt vor ihm, als Symbol, dass hier sein Blut für alle Menschen vergossen wird.

Über dem Kreuz der Tempel von Jerusalem; dahinter viele Schaulustige, welche das Spektakel einer Kreuzigung miterleben wollten

Es gab keine andere Künstler*in, von der Ursula Dethleffs die Schritte Trocknen, Brennen und Glasieren zur Herstellung ihrer Kunstwerke aus Keramik hätte lernen können.Sie war die Erste.

Die Technik ist so schwer zu beherrschen, dass sie deshalb wohl auch die Einzige geblieben ist. Ursula konnte sich nach vielen, jahrelangen Experimenten bei ihrem Töpfer einen großen Spezial-Brandofen mit extrem variablem Temperaturbereich leisten - dank der Unterstützung ihrer Eltern. Die relativ geringe Anzahl der erfolgreich gebrannten Keramiken lässt sich bisher nicht mehr feststellen. In unserer Homepage sind ausgestellt:

Keramik

Teller-Becher

38


Bild

56


Relief

355


Skulptur

41

Jesus am Ölberg
Ursula Dethleffs
Jesus am Ölberg
Bild auf Schamott m Glasur, 1958
WVZ-Nr: 241327
Kreuztragung
Ursula Dethleffs
Kreuztragung
Bild als Relief mit Tonscherben auf Schamott-Glasur, 1958
WVZ-Nr: 241466

1972: Pfingsten in der Mitte der 3 Kirchenfenster – Nikolaikirche in Isny

Für die evangelische Nikolai-Kirche hat Ursula Dethleffs die drei großen Hinterglasfenster entworfen. Die Pfarrer und der Kirchengemeinderat hatten die Themen ausgesucht: Turmbau zu Babel, Pfingsten, Heiliges Jerusalem. Bei der Einweihung 1972 interpretierte Dieter W. Kohler die Fenster. Zum Pfingstfenster in der Mitte erklärte er:

„Ursula Dethleffs stellt die Freude über die Ausgießung des heiligen Geistes in Form bunter Tropfen dar. Das Brausen des Windes erscheint in Gestalt der schwungvollen, wellenartigen Formen in kraftvollen, leuchtenden Farben. Sie sollen Ausdruck dafür sein: wo Gottes Geist ist, ist Freiheit. Freiheit sich aufzumachen, die himmliche Stadt, das himmlische Jerusalem von unter her zu bauen.“

Die Texte zu allen drei Fenstern von Johanna Schanbacher finden Sie in unserer Hompage mit dem Link: Werke in Öffentlichen Sammlungen:

Kirchenfenster in der Nikolai-Kirche

Ursula Dethleffs
Drei Kirchenfenster im Chor der Nikolai-Kirche Isny
Glasfenster, 1973
WVZ-Nr: 230010

1988: INRI

Am Ende ihres Lebens ist Ursula, allerdings auf höherer Ebene, wieder zu ihrer frühesten Technik zurückgekehrt. Am Anfang hatte sie spielerisch Muscheln, Schneckenhäuser, Vogelfedern usw.gesucht und sie dann fantasievoll zu kleinen Werken kombiniert.

Als sie älter geworden war, hat sie ihre Sparsamkeit umgewandelt in den Wunsch, Altes nicht einfach wegzuwerfen, sondern es zu neuem Leben zu erwecken. Die Objektkunst hängt nicht fest an der vordergründigen Betrachtung der einzelnen Teile wie Muschel oder Vogelfeder. Sie tritt einen Schritt zurück und verwandelt Holz, Schnur und Bretter in ein christkiches Kreuz. Nicht mehr das Spiel mit den Dingen, nicht mehr Sparsamkeit sind der Beweggrund, sondern das neue Ziel mit künstlerischer Kreativität das alte Wertlose zu ganz neuen Werten zu verwandeln.

Das Holzkreuz ist ein einfaches Beispiel, weil es so viel über die künstlerische Kreativität aussagen kann. Holz, ein einziges Werkzeug und Schnur reichen lange, um mit diesem Holzkreus sehr viel mehr über den christlichen Glauben auszusagen als mit vielen Worten. Natürlich wird vom Betrachter erwartet, dass er sich mit dem Werk auseinandersetzt.

Die Gemeinde der Christen setzt sich heute aus vielen unterschiedlichen Nationen zusammen. Aus den Unterschiedlichen prägt das Christentum die Gemeinsamkeit. Es geht nicht um Prunk, es geht allein um das Zusammenhalten. Das ist oft nicht einfach – auch eine Schnur kann reissen. Das zeigt, wie gefährdet die Christen sind, wenn sie sich ihrer Menschlichkeit nicht bewusst bleiben.

Der christliche Geist war die Armut, es war der Wunsch nach Gerechtigkeit und der Hilfe für die Hilflosen.

Ursula Dethleffs ist mit ihrer Kunst zu ihren Wurzeln zurückgekehrt. Sie hat die Objekte wieder mit großen Augen angesehen und sie hat verstanden, was diese Kunst für die Menschen heute bewirken kann.

I.N.R.I.
Ursula Dethleffs
I.N.R.I.
Relief Holz mit Schnur, 1988
WVZ-Nr: 224088

1989: Auferstehung

Was ist hier das Wesentliche? Der nach oben offene Sarg? Das geordnete Skelett= Die Grabbeigaben?

Ein Mädchen fragte ihre Mutter, als sie von der Schule zurückkam: wie soll ich Dich und Papa später im Himmel finden, wenn alle, die schon gestorben sind, da oben als Knochengerüst herumspringen? Die Mama antwortete: Jeder da oben hat ein Handy. Wenn Du in den Himmel kommst, erfahre ich das und kann Dich anrufen. Wir treffen uns am Meeting-Point. Dann sind wir wieder zusammen. Das wird schön!

Diese Konzentration auf das Wesentlich ist der Anspruch der Objektkunst.

Ein kluger Redner hatte bei der ersten Ausstellung nach Ursulas Tod bedauernd gesagt: Er ist schade - Es gibt so viele wunderbare Werke von Ursula. Aber die Objektkunst sollte man in die Wüste stellen.

Er hatte gar nicht bemerkt, dass er nur das alte Holz, die alte Schnur, das verrostete Metall gesehen hat. Er hat gar nicht erfasst, was Ursula Dethleffs mit jeder einzelnen Arbeit ausgesagt hat. Das ist auch nicht immer einfach. Aber es lohnt sich, dem nachzuspüren.

Bernd Riedle April 2021

Auferstehung
Ursula Dethleffs
Auferstehung
Skulptur Holz, 1988
WVZ-Nr: 224137