Seit 1931 Wohnwagen

Aus SPIEGEL-ONLINE 02.02.2011

Von Christoph Gunkel

 

Konstruktion im Lamellenaufbau mit Aluminium verkleidet; Dach aus Kunststoff

Von wegen Spießermobil!

Eine Künstlerin und ein Peitschenhersteller konstruierten vor 80 Jahren den ersten Wohnwagen Deutschlands.
Der kauzige Eigenbau diente seinen Erfindern als fahrendes Atelier und Dienstwohnung auf Rädern.. Von Christoph Gunkel

Auf den ersten Blick passten die beiden überhaupt nicht zusammen. Er, Arist Dethleffs, Sohn eines traditionsreichen Familienunternehmens aus dem Allgäu, das seit 1832 Pferdepeitschen und später auch Haselnuss-Skistöcke herstellte. Und sie, Fridel Edelmann, eine moderne und emanzipierte Frau, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts ihren Lebenstraum erfüllte und als Landschaftsmalerin landesweit bekannt wurde - in einer Zeit, in der die professionelle Malerei nahezu reine Männersache war.

Die ungewöhnliche Beziehung zwischen dem Peitschenfabrikanten und der zehn Jahre älteren Künstlerin wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn aus dieser Liebe vor 80 Jahren nicht etwas Besonderes entstanden wäre. Eine Erfindung, die Deutschlands Straßenbild dauerhaft verändern und dem Tourismus langfristig Milliardenumsätze bescheren sollte: der erste deutsche Wohnwagen.

Später wurden diese Heime auf Rädern hierzulande zum Inbegriff der Spießigkeit. Sie waren verpönt als Refugium notorischer Geizkragen oder prolliger Malocher, die sich keinen Urlaub leisten konnten. Ein Missverständnis, denn die Geburtsstunde des ersten Wohnwagens in Deutschland war keineswegs dem Zwang zur Knauserigkeit geschuldet, sondern dem Wunsch nach Unabhängigkeit und Freiheit.

Arist Dethleffs - am Oldtimer stehend – mit seinem Vater im Cabriolet vor dem alten Wohnwagenwerk mit seiner Mannschaft

Ein Atelier auf Rädern

Da Arist Dethleffs im Verkauf für die väterliche Firma ständig unterwegs war, sah seine Verlobte Fridel Edelmann ihren künftigen Gatten nur selten. Zudem war sie selbst als Meisterschülerin eines renommierten Kunstprofessors oft in Paris und Florenz. Unzufrieden mit ihrer Situation erzählte sie ihrem Verlobten von ihrem Tagebucheintrag von 1924: "Pläne für unser künftiges Wohnmobil gemacht". An den Plänen von 1924 war Arist Dethleffs aber gar nicht beteiligt. Sie musste also mit der Erfüllung ihres Wunsches warten, bis sie Arist Dethleffs kennen gelernt hatte. Was vorher lang gedauert hat, ging dann allerdings ganz schnell.

Begeistert von der Idee machte sich Arist Dethleffs sofort an die Arbeit. Diese Entwürfe für den deutschen Ur-Wohnwagen zeigten einen Einachser mit einer zur Schlafkoje umbaubaren Sitzecke und einer kleinen Küche. Dethleffs entwarf sogar schon damals ein Hubdach in der Mitte des Wagens. Das hatte gleich zwei Vorteile: eine bessere Aerodynamik während der Fahrt - und mehr Platz und Licht für die malende Frau bei aufgestelltem Dach.

Der erste Wohnwagen in Deutschland war also nicht als Urlaubsmobil geplant, sondern eine Mischung aus fahrendem Atelier und Dienstwohnung auf Rädern. Wann genau er fertiggestellt worden ist, weiß auch die Firma Dethleffs heute nicht mehr zu sagen; es dürfte zwischen Ende 1931 und Anfang 1932 gewesen sein. Nur so viel ist bekannt: In Ottersweier - bei den Eltern von Fridel - sollen bei einem Besuch erste, maßstabsgetreue Pläne im Freien an dem Scheunentor entstanden sein. Der Bürgermeister von Ottersweier ist seit kurzem auf der Suche nach den alten Fotos dieser Scheunentorkonstruktion. Der Rest war Phantasie: "Tisch und Stuhl wurden im Original aufgestellt, um die richtigen Maße zu bestimmen", schrieb später Ursula Dethleffs, Tochter des Wohnwagenpioniers. "Die Mutter hat vor einer imaginären Küche hantiert, der Vater hat die notwendige Stehhöhe ausprobiert. Es muss eine Riesen-Gaudi gewesen sein."

Pannen und Begeisterung

Aus dem Laientheater der Eltern wuchs langsam ein etwa drei Meter langes und anderthalb Meter breites quaderförmiges Holzgerippe heran, das mit doppelt lackierten und wasserfesten Holzplatten verkleidet wurde. "Wohnauto" tauften Fridel und Arist ihren Eigenbau mit der originellen Anhänger-Vorrichtung, die er aus zwei Ringen und einer Öse zusammenbastelte. Ein besseres Hochzeitsgeschenk hätte der Tüftler seiner Frau nicht machen können. Osterdienstag 1932 spannten die Frischvermählten ihr Opel-Cabriolet vor den Hänger und fuhren los.

Bei den ersten Härtetests ging natürlich allerhand schief. Wenn das kaum gefederte "Wohnauto" über Kopfsteinpflaster und Bahnübergänge holperte, öffneten sich innen die Staufächer. Ein Horror, den viele Camper heute noch kennen - nur dass damals kein Plastikgeschirr herauspurzelte, sondern Porzellanteller. Zudem machte der Spiritusbrenner das Kochen in der Holzkonstruktion zu einem recht unberechenbaren Unterfangen. Spuckte der Brenner wieder einmal Stichflammen, schleuderte ihn die frustrierte Köchin kurzerhand aus dem Wagen und wartete, bis er draußen ausgebrannt war.

Die Begeisterung der Deutschen entschädigte für solche Pannen: Sobald das junge Paar Rast einlegte, bildeten sich Trauben von Menschen, die das ungewöhnliche Gefährt bestaunten. Zwar kannten sie ähnliche, von Pferden gezogene Konstruktionen, zum Beispiel für Schausteller. Aber eine so kleine, motorisierte Version, und dazu auch noch gefahren von einem Unternehmer und seiner malenden Gattin? Am Ende der ersten Reise kehrte Arist Dethleffs mit einem Block voller Aufträge zurück. Ohne es bei seinem Aufbruch geahnt zu haben, hatte er soeben die beste Werbung für ein bald boomendes Geschäft gemacht.

Britischer Protz, deutscher Pragmatismus

Dabei war die Idee für bewohnbare Anhänger keineswegs neu. Schausteller benutzten sie schon seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Auch Privatleute reisten damit vereinzelt. Der Brite Samuel White Baker etwa fuhr in einem von Ochsen gezogenen Wohnwagen schon 1878 auf Forschungsreise nach Zypern. Später schwärmte er von seinem rollenden Heim mit Bett, Kleiderschrank und Kommode: "Es bietet einen derartigen Luxus, dass ich, wäre die Erde von einer guten Straße statt von einem unnützen Äquator umgürtet, sie ständig umreisen würde."

Sein Landsmann Gordon Stables wurde auf der Insel gar als "Gentleman-Zigeuner" bekannt, als er 1885 einen von zwei Pferden gezogenen Luxusanhänger entwarf und damit durch England tourte. Dieser sechs Meter lange und zwei Meter breite Wagen wog zwei Tonnen und kam nur im Schneckentempo voran. Dafür war er innen aber mit Mahagoni verkleidet und bot Platz für einen kleinen Ofen, einen Salon mit Flügeltüren, ein Schlafsofa, vergoldete Kerzenleuchter und Perserteppiche. Begeistert gründeten die Briten kurz danach den ersten British Caravan Club.

Die Deutschen hingegen liebten es noch Jahrzehnte später viel schnörkelloser und praktischer, allen voran Arist Dethleffs. Seine Tochter Ursula nahm er schon mit, als sie gerade ein paar Monate alt war. Mit schwäbischem Pragmatismus fand er auch für ihre verdreckten Windeln eine Lösung: Er legte sie in eine mit Persillauge gefüllte Blechwanne unter der Bodenluke - die Rüttelei während der Fahrt übernahm die Funktion einer Waschmaschine. Als "Wohnwagenkind" charakterisierte sich Ursula Dethleffs dann auch später. Ihre halbe Jugend verbrachte sie in den rumpeligen Eigenbauten, denn ihre reisewütigen Eltern trauten sich in immer exotischere Gefilde und fuhren bis nach Ägypten, den Libanon oder in die Sowjetunion.

Die Drei Dethleffs umlagert von Bewunderern im Vorderen Orient

Spiegel der Gesellschaft

Meist traf die Familie auf solchen Reisen andere Abenteuerlustige und kehrte mit neuen Aufträgen zurück. In einer Scheune fertigte Arist Dethleffs dann die ersten Einzelstücke und feilte an der Karosserie: Die einst viereckige Holzkiste auf Rädern wurde runder, windschnittiger und bekam eine Verkleidung aus Alu. 1936 hatte Arist schon sechs Mitarbeiter eingestellt - trotz des Misstrauens des Vaters Albert, der weiterhin die Zukunft allein in der Produktion von Peitschen und Skistöcken sah. Er irrte: Die Deutschen liebten die neue Art des Reisens. Sie empfanden gerade die Unzulänglichkeiten der ersten Wohnwagen als Romantik pur und waren bereit, für diese Flucht in die spartanische Heimeligkeit 2000 Reichsmark und mehr zu bezahlen. Zumal wenn die Innenrichtung so apart gestaltet war wie von Fridel Dethleffs-Edelmann. Außerdem schliefen die Kunden in ihrem Dethleffs nicht auf dünnem Schaumstoff, sondern auf Federkernmatratzen. Die Familie Dethleffs verkaufte nicht nur Wohnwagen, sie reisten selbst sehr weit.

Bald kopierten andere Hersteller Dethleffs' Konzept, der Schwabe bekam Konkurrenz. Erst der Kriegsausbruch 1939 beendete abrupt die erste Blüte dieser jungen Industrie.

Der Unternehmer kehrte rechtzeitig aus dem Feld zurück, um sich an der Goldgräberstimmung in den fünfziger Jahren zu beteiligen. Mit dem Wiederaufbau sehnten sich die Deutschen nach Normalität und der Wohnwagenbau wurde zu einem Spiegel der Nachkriegsgesellschaft: Wogen frühe Modelle, als bezahlbare Alternative zum Zelten gedacht, nur 200 Kilo, wurden mit dem Wirtschaftswunder auch die Wohnwagen größer: Das Heck ging in die Breite, die Karosserie maß plötzlich bis zu fünf Meter, das Gewicht vervielfachte sich.

Dethleffs kämpfte mit Herstellern wie Wilk, Tabbert, Knaus und Bürstner um die wachsende zahlungswillige Kundschaft. Luxusmodelle kosteten schon Mitte der sechziger Jahre rund 15.000 Mark - der Preis eines Mercedes. Es dauerte nicht mehr lange, bis aus den einst so primitiven Anhängern tonnenschwere aufgemotzte Appartements auf Rädern wurden. Natürlich mit Kühlschrank, Chemieklo, Wasserbett und Satelliten-TV.

Aus der kauzigen Idee eines fahrenden Kunstateliers zweier Frischverliebter ist längst eine milliardenschwere Industrie geworden. Dethleffs, die kleine Fabrik von 1931, beschäftigt heute rund 700 Arbeiter und machte zuletzt einen Umsatz von 272 Millionen Euro. Die Zeiten der Skistöcke und Peitschen sind vorbei - seit 1973 verlassen nur noch Wohnwagen die Werkshallen im Allgäu. Dazu kamen allerdings seit 1983 Motorcaravans, die immer bedeutender geworden sind.

1970 hatte die Familie Dethleffs das Unternehmen verkauft. Arist Dethleffs war krank geworden und später auch noch erblindet. Wolfgang Thrun und Jakob Eicker, die Fabrikanten der TE-Wohnwagen wurden die glücklichen Besitzer. Das Unternehmen wuchs. 1980 brachte Erwin Hymer, Fabrikant der Eriba-Wohnwagen und der Hymermobile, sein Unternehmen in die neue Guppe "CMC -Thrun-Hymer-Eicker OHG ein. Heute ist Erwin Hymer der alleinige Eigentümer der Gruppe, die ständig weiter gewachsen ist.

SPIEGEL-ONLINE Mittwoch, 02.02.2011 - ergänzt um neue Informationen durch Bernd Riedle - Neffe von Arist Dethleffs. Er war früher Geschäftsführer der Dethleffs GMBH und Zentralgeschäftsführer der Gruppe CMC.