Ursula Dethleffs:
Kostbare Hinterglasbilder, 1945-1976

1945 Maria mit Jesus, #233001
1946 Christus vor Pilatus, #233005

1941 entdeckte Ursula Dethleffs zum ersten Mal, dass sie auch auf Glasscheiben mit Farbe malen kann. Sie begann mit kindliche Darstellungen von Madonnen und Heiligen. Zwar war die Familie Dethleffs evangelisch, aber in den Bildbänden der alten Meister verehrten alle Christen eben Maria und die Heiligen.

Das erste Bild in dieser Ausstellung wurde 1945 gemalt: Noch kindlich naiv, Maria mit Jesus und Engeln strahlend vor dunklem Hintergrund. Es ist vielleicht noch kein Kunstwerk. Aber es zeigt, warum Ursula so große Freude an den biblischen Geschichten und schönen Bildern hatte. 1946 – schon im nächsten Jahr beginnt Ursula sich von den alten Vorbildern zu lösen. Die biblischen Geschichten werden lebendig. Ursula beginnt ihren eigenen Stil zu finden.

1949 Erinnerung an Italien, #232035
1950 Adam und Eva, #233008
1951 Vögel in Zweigen, #232038

Es folgt eine bunte Reihe von kostbaren Bildern, deren Themen stark variieren.1949 sind es eigene „Erinnerungen“ an die erste Italienreise mit den Eltern (1949)- die Religiosität schwingt im Hintergrund mit. Dann wieder dominiert das religiöse Thema „Adam und Eva im Paradies“ (1950); der bemalte Rahmen vergrößert das Bild. 1951 ist die Natur ihr Thema mit „Vögeln in Zweigen“; das Bild erinnert an einen Scherenschnitt, bei dem sie die Vögel und Pflanzen großflächig mit schmalem Pinsel weiß strukturiert

1952 Liebespaar mit Hahn, #232037
1955 Die Rothaarige, #231017

1952 Ursula war 19 Jahre alt geworden - erstmals taucht ihr „Liebespaar mit Hahn“ auf. Dann eine Überraschung: 1955 malte die schüchterne Ursula als Geschenk zum 80. Geburtstag Ihres Großvaters, des Fabrikanten Albert Dethleffs, völlig ungezwungen die barbusige „Rothaarige“.

1959 Schießbude # 232002
1959 Fahrendes Volk # 232003
1959 Rummelplatz # 232005
1959 Eisbahn # 232007
1959 Zeltplatz # 232008
1959 Herbstfest # 232030

Ab 1959 werden Ursulas Hinterglasbilder ausgelassen und farbenfroh: Es beginnt mit der „Schießbude“, an der die angeblich mädchenhaft erzogene Ursula selbst nach den Trophäen schießt. Dann das „Fahrendes Volk“- dem Traum der Mutter, die am liebsten als Kind mit den Zigeunern durchs Land gezogen wäre. Den „Rummelplatz“ auf dem Isnyer Kinderfest besucht sie mit ihrer Freundin. Im Winter darf sie zu der, mit Fahnen geschmückten „Eisbahn“ und malt später die beiden stilvoll auf dem Eis tanzenden Mädchen. Auf dem „Zeltplatz“ war sie oft - das Bild zeigt Ursula, wie sie wieder einmal allein an einem Liebespaar im Zelt vorbei geht. Beim „Herbstfest“ schwingt der Blues in gedämpften Tönen mit, auf dem Boden die gefallenen Blätter und im Vordergrund zwei Mädchen, die ihrer Einsamkeit überdrüssig sind.

1960 Bildhauerin-Rousselle # 231024
1960 Tänzerinnen # 232001

1960 porträtierte Ursula erstmals die „Bildhauerin Marianne Rousselle“ auf einem Hinterglasbild: Der Farbton der porträtierten Künstlerin und des von ihr gestalteten Torsos ist düster; drei gelb-rote Sternblumen mit grünen Blättern lockern die Stimmung auf. Die Bildhauerin war öfters bei Dethleffs zu Gast. Fridel Dethleffs-Edelmann - Ursulas Mutter hatte ihre Freundin bei früheren Besuchen porträtiert: so 1948 (WVZ-Nr. 152068) und 1949 (WVZ-Nr. 152004) porträtiert. Ursulas Hinterglasbild „Tänzerinnen“ zeigt zwei blasierte Spitzentänzerinnen, die sich vor den drei Balletteusen im Hintergrund aufspielen. Die Dekorationen untermalen die Zartgliedrigkeit der Tänzerinnen.

1963 Winter, #232250

1963 entsteht das kalte Landschaftsbild „Winter“. Oben stehen Bäume, deren Stämme an spitze Eiszapfen erinnern. Darunter filigran gemalt Blumen im Schnee, teilweise von der Kälte geknickt. Zart gemalte Farben, die des Winters Kälte noch unterstreichen. Übergänge zur Abstrakten Kunst werden in dem Landschaftsbild sichtbar.

1970 Mädchen m Kopftuch, #231031
1971 Großes Tor von Kiew, #234002
1975 Schlangenbändigerin 234015

1970 Bei dem Porträt des „Mädchens mit Kopftuch“ reduziert Ursula Dethleffs das Gesicht des Mädchens stilistisch. Es wird ein Erkennungsmerkmal ihrer Arbeiten. Dafür belebt das Kopftuch das Bild. Die schlanken Schachtelhalme bilden das Gegengewicht zu dem runden Kopf des Mädchens. 1971 – die Stadtansicht „Großes Tor von Kiew“ als Erinnerung an die Russlandreise der Familie Dethleffs im Jahr 1967: die mystische, eng gebaute Stadt mit ihren dicken Mauern, mit den rot-schwarzen Zwiebeltürmen und vergoldeten Zeichen – Kiew = die Prächtige! 1975 – die „Schlangenbändigerin“, ein Motiv der Schausteller und Gaukler aus Mutters Jugend: das flammende Haar der mutigen Frau, die sich umschlingen lässt von der grün geschuppten, exotischen Schlange und – in weiten Abstand - die neugierig Ängstlichen mit ihren Kindern.

1976 Susanna, #234022
1976 Mädchen mit Einhorn, #234019
1976 Erntedank, #232119

1976 – Nach der biblischen Erzählung wurde Susanna von zwei Richtern überfallen, die sie vergewaltigen wollten – doch Susanna wehrte sich mit Erfolg. Die „Susanna“ bei Ursula Dethleffs ist der krasse Kontrast: Sie wehrt sich nicht, sie ist Objekt: eine erstarrte Frau mit rot-braunem Haar. Daneben ein Baum als Phallussymbol. Das ist alles. Das Bild erzählt nicht - es berichtet im Sinn der Neuen Sachlichkeit. 1976 – bei dem „Mädchen mit Einhorn“ – spielt die Sexualität wieder die zentrale Rolle: das Einhorn als Zeichen der Jungfräulichkeit. Die Jungfrau wird im Vordergrund begrüßt von dem schimmelfarbigen Einhorn, das spielerisch seinen Kopf mit dem Horn vor dem Mädchen senkt. Dahinter Blumen, die gerade erst aufblühen. Auf der anderen Seite der Zweig eines Baums mit noch reifenden Orangen. 1976: Als letztes Hinterglasbild in unserer Ausstellung: „Erntedank“. Ein abstraktes Werk, das die Leuchtkraft der Hinterglastechnik meisterlich einsetzt. Es symbolisiert die verklingende Glut des Sommers, die alles reifen lässt und damit die überbordende Fülle der Ernte im Herbst beschert. 

Résumé

22 Arbeiten sind nur ein kleiner Teil der, in der Homepage gezeigten, über 165 Hinterglasbilder. Trotzdem lassen sie die Vielfalt und die künstlerische Entwicklung von Ursula Dethleffs erkennen. Wer dann noch berücksichtigt, dass Ursula Dethleffs zusätzlich zur Technik <hinterglasbild> in weiteren 18 Kunsttechniken (Zahl der Werke) künstlerisch erfolgreich war, kann ihre Lebensleistung würdigen.</hinterglasbild>

Persönliche Einführung von Bernd Riedle

Ein Hinterglasbild war das 1. Bild, das ich mir selbst gekauft habe. Sobald ich es mir nach dem Studium leisten konnte, habe ich mir eine kleine Sammlung erspart. Von meiner Cousine Ursula konnte ich lange kein Hinterglasbild kaufen. Als ich nach Isny zur Firma kam, besaß sie nur noch ihre Lieblingsbilder, von denen sie sich nicht trennen konnte. Jahre später vermittelte sie mir dann den Kauf eines ihrer Bilder von einem Sammler. Der Titel: „Großes Weihnachtsbild“ – sein Preis 5.000 DM. Ich zeige es nicht in dieser Ausstellung, aber es ist unter der WVZ_Nr, 232200 mit der Suchfunktion zu finden.

Bei meiner Liebe zu Hinterglasbildern konnte ich anfangs nicht verstehen, warum Hinterglasbilder früher nicht als Kunstwerke gewertet worden waren. Der Grund war: im 18. und 19. Jahrhundert wurden Bilder der alten Meister schlecht kopiert: Das gleiche Motiv, das gleiche Bild wurde - ohne Kunstsinn abgekupfert - in Heimarbeit von Großfamilien auf dem Land produziert und von Hausierern als religiöse Volkskunst in großen Mengen verkauft. Erst nach 1900 änderte sich das: neue Hinterglasbilder wurden von Künstlern wie Paul Klee, der Gruppe „Der Blaue Reiter“, von dem volkstümlich, naiven Ivan Generalic und von Gerhard Richter als abstrakte Werke gemalt: im 20. Jahrhundert war das Hinterglasbild von Künstlern wieder als Kunsttechnik entdeckt worden. 

Bernd Riedle 01.09.2017