Ursula Dethleffs – Alemannische Fasnet in Schwaben

1947 - Ursula Dethleffs war 14 Jahre alt geworden. Von der Oma und den Eltern umsorgt war das Einzelkind als sittsames, also wohl erzogenes Mädchen bekannt. Dieser strengen Erziehung entspricht auch ihre erste dekorative Tuschfeder-Zeichnung zur Fasnet: "Vor dem Faschingsumzug" mit vier jungen Mädchen, die alle gesittet in hochgeschlossen Kleidern mit langen Röcken auf ihren Umzug durch die Stadt warten. Die Kleider sind schön, aber es sind keine echten Faschingskostüme. An die alemannische Fasnet in Schwaben und in der Schweiz erinnert allein die abschreckende Holz-Maske im Schoß eines der Mädchen.

1948 - aus dem lieben Kind entwickelt sich langsam das Mädchen Ursula: Im einfarbigen Holzschnitt "Eva im Fasching" ist davon erst der Anfang zu erkennen. Beinahe ängstlich steht sie vor dem ihr ungewohnten Treiben der Fasnet. Geschminkt sind nur ihre Augen und die Lippen. Die schlichte, historische Kappe ist eine Reminiszenz an die Vergangenheit.

Neu ist bei dem Aquarell "Mädchen im Faschingskostüm": die bunte Farbigkeit der Fasnet ist expressiv Farbigkeit gemalt! Der Hintergrund in breiter, aggressiv-roter Farbe mit zarter alt-roter Untermalung. Zwar sind die Kleider auch hier stilvoll elegant, aber Ursula betont zum ersten Mal offensiv den Busen des Mädchens mit dem rot-gelb blauen Top.

In der Zeichnung "Die junge Hexe" fallen alle Hüllen - lustvoll reitet die junge Hexe auf ihrem Besenstiel. Ursula - damals erst 15 Jahre alt ist in der Zeichnung nicht wieder zu erkennen - diese Verkleidung des bisher lieben Mädchens gelingt ihr vollkommen. Zudem ist die Zeichnung frei von jeder Pedanterie - bis in die Finger. In dieser Fasnet geht es einzig um die in vollen Zügen genossene Lebenslust.

1950 blockieren Erziehung und Gewissen die vorher kurz aufgebrochene Lebenslust der jungen Künstlerin. Die Zeichnung "Maskiert" zeigt: Ursula schwankt zwischen Gut und Böse: Die Bewegung der Locken, der Wechsel zwischen hell und dunkel, die großen Augen zeigen die innere Dissonanz. Ursula ist gespalten zwischen bürgerlichem Anstand und ihrem Gefühl. Trotz allem - sie hat sich in der Zeichnung "Maskiert" unter Kontrolle. Dieser Gegensatz von Schwarz-Weiß erscheint als holzschnittartiges Symbol auch immer wieder in der herben, alemannischen Fasnet.

Ab 1954 - also mit 21 Jahren - feiert Ursula in der Fasnet wieder mit den Hexen: "Hexen aus dem Zyklus - Nacht auf dem Kahlen Berg". Der Tanz wird als Sieg der Frauen orgiastisch gefeiert. Männer sind auch hier nicht zu sehen - mögen sie verschwunden sein, die wichtige Rolle spielen die Frauen allein. Die Zeichnung ist übrigens kein Einzelstück, sie ist vielmehr der Teil eines ganzen Zykluses - so bedeutend ist die Befreiung für die junge Künstlerin!

1955 - Ursula genießt auch hier die weibliche Selbstsicherheit und das Spiel mit ihrer Rolle als Hexe in: "Hexe über den Dächern der Stadt": Die Pinselzeichnung im hellroten Himmel ist Ausdruck der neu gewonnen Freiheit. Die Hexe schwebt über allem. Auch über allen Stilfragen der Kunst. Überraschend scheint, dass sich die christlich erzogene Ursula durch den Kirchturm nicht ablenken lässt. Aber inzwischen ist Christentum ohne Institution kein Widerspruch mehr: Es geht nicht mehr um den Sabbat und die Kirche, es geht um Gott und den Menschen.

Die Zeichnung "Faschingsumzug in Oberschwaben" kehrt wieder zurück zur alemannischen Fasnet: Ursula war nach Bad Waldsee eingeladen worden. Vor dem historischen Rathaus mit seinen Giebeln zeichnete sie den Tanz von Hahn mit Henne: das Symbol der Fruchtbarkeit. In dieser Verkleidung war selbst dem Mann eine kurze Rolle zugestanden.

1956: In der Tusche-Zeichnung "Tanz der Hexe vor ihrer Hütte" feiert die Hexe den Sieg der Frauen und den Gewinn ihrer Gleichberechtigung: Das Neue wächst durch das Dach der Hütte hindurch - hinauf zum Himmel. Die Leiter symbolisiert den steilen Weg zum Erfolg. Selbst die rote Katze springt nach oben. Die Freude ist vollkommen. Die wehenden Haare der Hexe bleiben als Erinnerung an die immense Anstrengung, die notwendig war, um die Rechte für die für die Frauen - die Hälfte der Menschheit ! - zu erkämpfen.
In der Pinselzeichnung "Hexe" zeigt Ursula Dethleffs die neu erworbene Sicherheit. Alle früheren Ängste und Zweifel hat sie überwunden. Die Gleichwertigkeit der Frau ist anerkannt - und mit ihr alle geschlechtsspezifischen Unterschiede.

1990: Die "Verzauberte Hexe" verkörpert die Endstufe der Selbstverwirklichung von Ursula Dethleffs: In ihrer letzten künstlerischen Phase widmete sie sich der Objektkunst. Beides, ihre Freiheit und ihre künstlerische Kreativität verbinden sich in dem verzaubernden Relief. Alles Äußerliche ist unwichtig geworden. Sie verbindet alte Objekte zu dem neuen organischen Kunstwerk. Die alten Schindeln sind Teile Ihrer Flügel, die sie von der Erde hinweg schweben lassen. In seiner leichten Transparenz könnte es das Selbstbildnis der Künstlerin Ursula Dethleffs nach ihrem Leiden vor dem Tod im Jahre 1994 sein.

31.01.2016

Mädchen im Faschingskostüm
Ursula Dethleffs
Mädchen im Faschingskostüm
Aquarell-Tempera auf Karton, 1948
WVZ-Nr: 201061
Eva im Fasching
Ursula Dethleffs
Eva im Fasching
Holzschnitt, 1948
WVZ-Nr: 282016
Verzauberte Hexe
Ursula Dethleffs
Verzauberte Hexe
Relief Holz-etc., 1990
WVZ-Nr: 224046
Tanz der Hexe vor ihrer Hütte
Ursula Dethleffs
Tanz der Hexe vor ihrer Hütte
Tusche Repro Farbe, 1956
WVZ-Nr: 271214
Maskiert
Ursula Dethleffs
Maskiert
Pinselzeichnung Tusche, 1950
WVZ-Nr: 273669
Hexen aus Zyklus-Nacht auf dem kahlen Berg
Ursula Dethleffs
Hexen aus Zyklus-Nacht auf dem kahlen Berg
Pinselzeichnung Tusche, 1954
WVZ-Nr: 273057
Hexe über den Dächern der Stadt
Ursula Dethleffs
Hexe über den Dächern der Stadt
Pinselzeichnung Tusche, 1955
WVZ-Nr: 273107
Faschingsumzug in Oberschwaben
Ursula Dethleffs
Faschingsumzug in Oberschwaben
Pinselzeichnung Tusche, 1955
WVZ-Nr: 273255
Hexe
Ursula Dethleffs
Hexe
Pinselzeichnung mit farbiger Tusche, 1956
WVZ-Nr: 273571
Vor dem Faschingsumzug
Ursula Dethleffs
Vor dem Faschingsumzug
Tuschfederzeichnung, 1947
WVZ-Nr: 272078
Die junge Hexe
Ursula Dethleffs
Die junge Hexe
Tuschfederzeichnung, 1948
WVZ-Nr: 272255